tACS zur Klartrauminduktion?

Ein Gastbeitrag von steeph vom Podcast BLucid

Ich übernehme keine Haftung für jegliche durch die Anwendung einer der in diesem Artikel erwähnten oder verlinkten Techniken oder Geräte entstandenen Schäden. Wer sich entscheidet, eine solche anzuwenden, tut das auf eigene Gefahr. Ich rate grundsätzlich davon ab.
Sorry dafür. Lieber ein mal zu viel als ein mal zu wenig.

Klarträumer denken sich ständig neue Möglichkeiten aus, die Klartraumhäufigkeit zu steigern. Immer wieder liest man in den Foren und Blogs von neuen Varianten und Kombinationen von Induktionstechniken. Selten ist etwas wirklich Neues dabei. Das ist nicht verwunderlich, da es seit den Neunzigern kaum neue Erkenntnisse über die psychologischen und neurologischen Eigenschaften von Klarträumen gibt. Zwar gibt es Forschung und auch interessante Ergebnisse in dem Bereich, die ich damit nicht kleinreden möchte, doch Klarträume sind eben immer noch eine recht kleine Disziplin.

Letztes Jahr aber wurde eine Studie veröffentlicht, auf deren Erkenntnisse eine ganz neue Induktionsvariante aufbaut. tACS steht für Transcranial Alternating Current Stimulation, also die Stimulation des Schädels mithilfe von Wechselstrom. Diese Studie von Ursula Voss et al. mit dem Titel “Induction of self awareness in dreams through frontal low current stimulation of gamma activity” brachte eine große Zahl von teils sehr hoffnungsvollen und euphorischen Blogeinträgen hervor (Eine kleine Auswahl). Was hat die Studie herausgefunden? Auch in den weniger aufgeregten Artikeln ist zu lesen, dass die Forscher in der Lage waren, bei den Probanden in 77 % der Fälle Klarträume zu erzeugen, indem sie einen Wechselstrom mit 40 Hz durch ihre Schädel fließen ließen. Die Probanden wurden am Schädel mit unterschiedlichen Frequenzen stimuliert. Frühere Forschung hat gezeigt, dass während Klarträumen in einem Bereich, der unter anderem für die Handlungsplanung/Entscheidungsfindung und andere kognitive Funktionen zuständig ist, Hirnwellen mit einer Frequenz von 40 Hz dominieren (etwa so wie das auch im Wachzustand üblich ist). Man hoffte also, dass bei einer Stimulation mit 40 Hz des entsprechenden Bereichs dieser aktiviert und so quasi auch das Bewusstsein eingeschaltet werden kann. Damit die Darstellung des Erfolgs so stimmt muss man aber eine zumindest bisher äußerst unübliche Definition von Klarträumen annehmen,
so wie es die Studie tat. Nur wenige Autoren haben kritisch genug nachgesehen, um berichten zu können, was die Studienergebnisse im Detail wirklich waren. Selbst manche wissenschaftliche Artikel stellen die Ergebnisse so vereinfacht dar. Es dauerte eine Weile, bis sich die Kritik an der Studie ausbreitete. Darauf möchte ich hier nicht im Detail eingehen. Kurz zusammengefasst waren die Auswirkungen der Stimulation auf die für Bewusstsein relevanten Merkmale der Träume in den meisten Fällen nicht so groß, dass man einen typischen Klartraum annehmen würde bzw. wie es die verwendete Terminologie vermuten lässt. Aber die Auswirkungen sind vorhanden. Nach der Einschätzung anderer Klartraum-Forscher kann die tACS die Klartrauminduktion möglicherweise unterstützen, wird aber nur denjenigen eine deutliche Hilfe sein, die ohnehin schon häufig klar träumen. So verhält es sich auch bei der Stimulation mit Gleichstrom. Die Kritik, die z.B. der Blogger The Neurocritic sehr gut zusammengefasst hat, richtet sich nicht an die Methodik, sondern nur an die Darstellung, 77 % der Versuche mit einer 40-Hz-Stimulation hätten zu Klarträumen geführt. Die Bedeutsamkeit der Studie liegt eher in anderen Bereichen.

Möglicherweise liegt es an dem Missverständnis über die beobachtete Effektivität des Stimulations-Verfahrens, oder daran, dass viele Klarträumer jeder Spur von Chance auf eine Erhöhung der Klartraumrate mit Begeisterung nachgehen. Jedenfalls versuchen seit der Veröffentlichung der Studie viele, teils mit hohem eigenem Aufwand, die scheinbar überraschend großen Erfolge zu reproduzieren. Auch ich habe mich dazu hinreißen lassen, eigene Experimente anzustellen. Dazu braucht man zweierlei: Ein tACS-Gerät, das die benötigten Einstellungen bietet und den Mut, sich elektrischen Strom durch den Schädel zu jagen. Letzteres kann man erlangen, indem man sich ausgiebig über die Risiken und Gefahren, sowie über die Technik (sowohl tACS als auch die den Geräten zugrundeliegende Elektronik) informiert. (Mehr dazu weiter unten.) Wenn man eine besonders kritische Sicht haben möchte, kann man außerdem seinem Arzt von dem Vorhaben erzählen und ihn fragen, worauf zu achten ist. (Vorausgesetzt man hat einen guten Arzt.) Hier möchte ich mich aber mit der Beschaffung und dem Einsatz der Technik beschäftigen.

Man kann professionelle tACS-Geräte kaufen, zum Beispiel solche, wie sie in der bekannten Studie verwendet wurden. Dafür muss man aber eine Klinik oder sonstige Einrichtung mit gutem Einsatzzweck sein und bereit sein, einige tausend Euro auszugeben. Andere Geräte sind zwar günstiger, kommen aber nicht annähernd in den Bereich, wo sie für Hobby-Anwender erschwinglich wären. Die Alternative ist selber Bauen. Zwar gibt es eine Reihe von fertigen tDCS-Geräten (Transcranial Direct Current Stimulation) für 200 Dollar und (teilweise deutlich) weniger, sowie sehr simple Baupläne für eigene tDCS-Geräte. Die geben aber nunmal einen Gleichstrom und keinen Wechselstrom ab. Die Stromstärke kann zwar bei den meisten Geräten manuell gesteuert werden, aber für eine Frequenz von 40 Hz sind sie nicht ausgelegt, zumal man wach sein muss um die Einstellung zu ändern. Offenbar ist die Nachfrage an günstigen tACS-Geräten in der DIYGemeinde (noch) nicht groß genug, dass die Hersteller auch die vergleichsweise aufwändigen Geräte mit geregeltem Wechselstrom anbieten. Es gab schon ein paar Ansätze, ein quelloffenes oder kommerzielles tACS-Gerät für Hobbyisten zu entwickeln. Ein fertiges, das den Anforderungen genügt, hat die Community aber noch nicht hervorgebracht.
Das letzte Wort ist hier aber noch nicht gesprochen. Das Interesse für die Technologie steigt, zusammen mit der Anzahl wissenschaftlicher Studien, die neue Einsatzzwecke erforschen, in letzter Zeit immer schneller. Anbieter kostengünstiger Geräte vermelden in den letzten Monaten steigende Verkaufszahlen und die Beitragsrate in den Foren steigt. So kann man auch damit rechnen, dass neue Schaltpläne und Anleitungen erscheinen werden, die Hobbybastlern den Bau eines einsatzfähigen Gerätes ermöglichen. Eine weitere Quelle für einen bezahlbaren tACS-Stimulator könnte das foc.us sein. Dieses kommerzielle Headset bietet für einen immerhin niedrigen dreistelligen Betrag bisher nur tDCS-Protokolle. Ein kürzlich herausgegebenes Firmware-Update für die Entwickler-Version rüstet aber eine ganze Menge neue Funktionen nach. Die foc.us-Produkte haben jedoch aufgrund ihrer kostensparenden Elektrodenimplementierung den Ruf, es mit der Sicherheit der Anwender nicht so genau zu nehmen.

Was muss so ein Gerät können, um als tACS eingesetzt werden zu können? Es muss

  • Einen niedrigen Wechselstrom (sinus, um 1 mA) an zwei Elektroden abgeben (bei mehr Kanälen entsprechend mehr Elektroden)
  • Die Stromstärke sicher und exakt auf eine vorgegebene oder vorher eingestellte Stromstärke regeln
  • Bei zu starkem Strom oder anderen Problemen sofort abschalten
  • Batteriebetrieben sein
  • Für den Einsatz im Schlaf die Stimulation erst nach dem Ablauf einer Wartezeit oder beim Empfangen eines Signals starten
  • Für Klarträumer ohne Elektronik-Studium herstellbar sein. Auf weitere Sicherheitsmaßnahmen wird deshalb notgedrungen verzichtet.

Die Elektroden sind einfach selbst zu basteln. In Europa hat sich die Variante “Küchenausstattung” durchgesetzt. In Amerika gibt es ein größeres Angebot an relativ günstigen Schwamm-Elektroden. Die Größe der Elektroden entscheidet, wie umfangreich der stimulierte Bereich ist. Für tDCS und tACS wird die aufgrund der Schädeldecke ohnehin schon weit verteilte Stimulation meist noch weiter verteilt, indem feuchte Schwamm-Elektroden mit mehreren Zentimetern Kantenlänge eingesetzt werden, um einen zu geringflächigen Übergangswiderstand zu vehindern.

Für die Regelung muss der tatsächlich fließende Wechselstrom kontinuierlich gemessen und ggf. angepasst werden. TENS-Geräte (Transkutane Elektrische Nervenstimulation), die zur Schmerzbehandlung oder zum Muskelaufbau verwendet werden, kommen deshalb nicht infrage. Selbst wenn es ein Gerät ist, bei dem eine Stromstärke von nur 1 mA und eine Frequenz in dem für unseren Zweck gewünschten Spektrum eingestellt werden kann oder wenn das Gerät entsprechend modifiziert wurde, gibt es in Wirklichkeit eine feste Wechselspannung ab. Die angegebene Stromstärke ergibt sich aus einem konstant angenommenen Widerstand von z.B. 5000 Ω. Der tatsächliche Körper- und Übergangswiderstand wird zwar häufig darüber liegen, kann aber auch deutlich niedriger sein, z.B. wenn die Elektroden beide an der Stirn angebracht werden. Die Tatsache, dass der tatsächlich fließende Strom dem TENS-Gerät egal ist, macht sie in jedem Fall für die Anwendung am Schädel ungeeignet. Es gibt weitere Nachteile dieser Geräte, die aber im Vergleich dazu weniger kritisch sind.

Die Stimulierung erst bei Auftreten von REM-Schlaf automatisch zu aktivieren ist ein eigenes Thema. Die dafür nötige Technik existiert unabhängig von der transkranialen Stromstimulation. Zum Beispiel bietet die Windows-Software Lucid Scribe die Möglichkeit, bei Erkennen von starken Augenbewegungen ein USB-Relais zu schalten oder eine Nachricht über einen Seriellen Port zu senden.

Es gibt unter den tACS-Bauplänen der DIY-Community ein Modell, das den Anforderungen sehr nahe kommt. Von OpenStim findet man auf Sourceforge einen Bauplan, eine Arduino-Firmware und eine Java-Anwendung zum Testen der Hardware und zum Steuern und Überwachen der Sitzung. Ursprünglich sollte sich dieser Artikel hauptsächlich diesem Projekt widmen. Und es gäbe vieles darüber zu schreiben. Ich habe einige Erfahrungen mit OpenStim-Nachbauten und Modifikationen gesammelt, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es sich nicht lohnt, den Code oder die Hardware weiterzuentwickeln um einen günstigen Stimulator für Klarträumer zu bekommen. Somit sehe ich auch keinen Sinn darin, eine genaue Beschreibung oder Anleitung (die der Projekt-Webseite eindeutig fehlt) zu schreiben. OpenStim hat ein grundlegendes Problem, das das Erzeugen von sinusförmigen Wechselströmen und sehr niedrigen Strömen verhindert und außerdem einen geringen Spielraum in der Stromstärke bewirkt: Zur Regelung des Ausgangsstroms wird statt einem D/A-Wandler ein digitales Potentiometer verwendet. Für meine Experimente habe ich zwar die Hardware etwas angepasst und den Code stark modifiziert, unter anderem um genauere Ströme und exakte Freuquenzen erreichen zu können, aber das Grundproblem bleibt. Folgende Probleme ergeben sich in der Praxis:

  • Sehr niedrige Ströme können nicht abgegeben werden (je nach verwendeter Batterie und Widerständen/Digipot).
  • Deshalb ist es nicht möglich, einen sinusförmigen Wechselstrom zu erzeugen.
  • Auch verhindert dieser Umstand, dass die Stromstärke zu Beginn langsam von 0 hochgefahren werden kann (Ramping).
  • Die Methode der Strommessung ist nicht genau genug, um immer den gewünschten Strom zu garantieren.
  • Die Firmware ist nicht geeignet, hohe Frequenzen von z.B. 40 Hz zu erzeugen. Das kann aber leicht geändert werden.
  • Ein vorher abgespeichertes Protokoll soll zwar auch ohne manuelle Konfiguration zum Einsatzzeitpunkt abspielbar sein. Das funktioniert aber nicht komfortabel und zuverlässig genug. Auch das kann durch Anpassungen in der Firmware geändert werden.

Ich verfolge deshalb das Projekt nicht mehr weiter. Ein grundlegend neues Design wäre sinnvoll. Möglicherweise wäre auch der Entwickler des bisherigen daran interessiert. Auf Reddit reagiert er üblicherweise schnell auf Fragen zu OpenStim. Ein ähnliches Design, das mithilfe eines Mikrocontrollers und eines D/A-Wandlers einen geregelten Wechselstrom erzeugt, wäre deutlich brauchbarer. Ein solches Gerät zu entwickeln wäre auch nicht aufwändiger als es für OpenStim war. Allerdings habe ich angesichts der relativ niedrigen Erfolgsaussichten bisher davon abgesehen, dieses Projekt anzugehen.

Meine praktischen Experimente mit OpenStim lassen sich kurz so zusammenfassen: Es gab keinen erkennbaren Erfolg. Den meisten, die ähnliche Experimente angestellt haben, geht es ähnlich oder genau so. Mit der Ausnahme eines Träumers berichten alle entweder von Misserfolgen, von gefühlten leichten Erfolgen oder berichten gar nicht von den Ergebnissen. Allerdings fanden diese Versuche unter sehr unterschiedlichen Bedingungen statt, verwendeten unterschiedliche, teils unsinnig erscheinende Elektrodenplatzierungen, unterschiedlich starke, meist rechteckige Wechselströme und sind nur rudimentär dokumentiert. Anspruchsvollere Studien könnten hier noch interessante Erkenntnisse bringen. Für eventuelle eigene Experimente möchte ich anregen, wenn es schon keine doppelverblindete Studie werden sollte, sich wenigstens mit anderen zusammen zu tun und vergleichbare Ergebnisse zu produzieren und zu dokumentieren. Weitergehende Versuche könnten zum Beispiel die genauen Unterschiede bei Stimulationen mit unterschiedlichen Frequenzen untersuchen oder auch zusammen mit Nahrungsergänzungsmitteln, wie Cholinen (Alpha-GPC) oder Galantamin, durchgeführt werden.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Anwendung von elektrischen Strömen im Kopfbereich erhebliche Gefahren birgt. Ich kann, möchte und werde niemandem ohne der nötigen biologischen/medizinischen und elektrotechnischen Ausbildung und dem Wissen über die umfangreichen Gefahren empfehlen, eigene Experimente mit elektrischer Stimulation im Kopfbereich durchzuführen. Wer sich entscheidet, elektrischen Strom durch den Schädel fließen zu lassen, sollte besser ganz genau wissen, was er tut. Auch sehr geringe Ströme können große Schäden anrichten, Anfälle auslösen oder töten! Die Anwendung im Schlaf kann zusätzliche Gefahren mit sich bringen und sollte nur in Beisein einer weiteren Person durchgeführt werden, die ggf. schnell eingreifen kann. Es gibt vieles, was man falsch machen kann, vor allem, aber nicht nur, mit selbst gebauten Geräten. Hier eine Auswahl an Stichpunkten, über die man bescheid wissen und sich Gedanken gemacht haben sollte: Elektrodenauswahl, Elektrodenplatzierung, Elektrodenbefestigung, Verkabelung, sicheres Hardware-Design, sichere Software, Stromstärke und -form, sonstige Geräte-Konfiguration, Stimulationsdauer, Abschaltautomatik und andere Sicherungen, Erkrankungen oder Einschränkungen des Probanden, zuverlässige Strommessung im µA-Bereich, sichere Spannungsquelle, usw.

Ein paar interessante Punkte wurden von diesem Artikel nicht so ausführlich behandelt. Zum Beispiel folgende Fragen:

  • Wie sind die Ergebnisse der erwähnten tACS-Studie genau zu interpretieren?
  • Warum hat anscheinend ein Klarträumer viel bessere Erfolge mit der Technik, als alle anderen?
  • Welche Modifiaktionen an OpenStim würden helfen?
  • Wie muss ein günstiges tACS-Gerät für Schlafhacker aufgebaut sein?
  • Welches Potential haben andere offene tACS-Projekte?
  • Wie müsste eine ordentliche eigene Studie zur Überprüfung des Erfolgs der Stimulation aufgebaut sein?

Wenn dich eine der genannten Fragen interessiert oder du generell an einer Fortsetzung des Artikels interessiert bist, lasse es mich bitte wissen.

Kontakt: steeph@blucid.de

This entry was posted in Schlafhacking and tagged , , , , , , , , . Bookmark the permalink.

Leave a Reply